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Graz, 26. Juni 2016

Historische Ereignisse: Brexit und ein Grenzkrieg

Erinnern Sie sich noch? Im Juni und Juli 1991 herrschte Krieg an Österreichs Südgrenze. Slowenien erklärte seine Unabhängigkeit vom Staat Jugoslawien und strebte nach Europa.

Fünfundzwanzig Jahre später, Ende Juni 2016, hat Großbritannien in einem Referendum beschlossen, die Europäische Union verlassen zu wollen.

Vor 25 Jahren schrieb ich für „werbung aktuell“, ein Fachmagazin für die Kommunikationsbranche, einen Beitrag über die mediale Kriegsberichterstattung. Erstaunlich, wie viel und dann doch wieder wie wenig sich seit damals verändert hat …

(Werbung aktuell, Ausgabe 237, 24. Juli 1991)

Krieg an der Grenze

Was auch die intensivsten „Live“-Berichte der Medien während des Golfkrieges nicht bewirken konnten, dafür sorgte allein die Nähe des Konflikts in Jugoslawien: Die Menschen beschlich ein ganz reales Gefühl der Angst, manche im Süden hatten allen Grund dazu. An der Grenze herrschte Krieg.

Franz Zuckriegl

Camera

Graz, im Juni 1991: Keine 50km vom eigenen, gemütlichen Wohnzimmer entfernt, sterben Menschen. An der Grenze in Spielfeld, wo sich der Steirer normalerweise mit billigen Zigaretten aus dem Duty-Free-Shop eindeckt. Im Inneren Sloweniens, in Marburg und Umgebung, wo die Fischrestaurants in Friedenszeiten von Österreichern okkupiert sind. Oder in der im Jahre 1919 geteilten Grenzstadt Radkersburg.

Bad Radkersburg (das österreichische) wird evakuiert, Gornja Radgona (Oberradkersburg) wird bomardiert. Nur einen Handgranatenwurf entfernt. Im „vereinten Europa“ des Jahres 1991 wird es nötig, die Brücke an der Grenze zu verminen.

Dabei hatte es so hoffnungsvoll begonnen. Durch die überraschende Vorverlegung ihrer offiziellen Unabhängigkeitserklärung um einen Tag auf den 25. Juni 1991, versuchten Slowenien und Kroatien einem Eingreifen seitens der jugoslawischen Bundesarmee zuvorzukommen. Die österreichischen Medien, die im Laufe des Konflikts noch eine entscheidende Rolle einnehmen sollten, berichteten wohlwollend.

Viel Glück Slowenien 

Der ORF brachte stimmungsvolle Bilder von der Unabhängigkeitsfeier in Laibach, an der auch die Landeshauptleute Zilk, Krainer, Ratzenböck und Zernatto teilnahmen. Apropos Zernatto: Im Konfliktschatten der Slowenienkrise verschwand auch der damalige Titelheld fast aller Medien, Jörg Haider. Die „Beschäftigungspolitik“ der Journalisten erforderte zunehmend andere Prioritäten.

So titelte die Grazer NEUE ZEIT am Tag der Feierlichkeiten: „Angst vor Armee: Norden geht sofort. JUGOSLAWIENS ENDE VORVERLEGT.“ Der ebenfalls in Graz erscheinende Markt- und Meinungsführer KLEINE ZEITUNG setzte weitaus positivere Akzente: „SLOWENIEN UND KROATIEN UNABHÄNGIG!“, um dann auf slowenisch und auf deutsch ein kräftiges „Viel Glück, Slowenien!“ nach Laibach zu schicken.

Doch mit der Idylle war es bald vorbei. Schon zwei Tage später, am Freitag, hieß es auf der Titelseite: „Das ist der Krieg“, „PANZER ÜBERROLLEN SLOWENIEN!“ Die STEIRERKRONE bemühte ebenfalls das Bild vom Panzer, denn „PANZER WALZEN FREIHEIT NIEDER“. Fortan kannten die Titelseiten der Tageszeitungen für mehr als eine Woche nur ein Thema: Die Krise in Jugoslawien!

Wobei die Printmedien mit einem übermächtigen Problem zu kämpfen hatten, und zwar der absoluten Unsicherheit über den endgültigen Verlauf der Dinge. Der ständige Wechsel zwischen angekündigtem Waffenstillstand und neu entflammten Kämpfen hat manchem Schlußredakteur im Nachtdienst die letzten grauen Haare gekostet. Erschienen die Tageszeitungen gerade mit ihren Aufmachern über den „heißen Krieg“, konnte der ORF als schnelleres Medium bereits von der erreichten Feuerpause berichten.

Vor allem die Mitarbeiter der Landesstudios in Kärnten und in der Steiermark waren sichtlich motiviert von der Tatsache, die alltägliche Sphäre der Dorffeste verlassen und wirklich „Hard News“ liefern zu können. Nach der anfänglichen eintägigen Schrecksekunde leistete der ORF mit seinen Sondersendungen in Radio und Fernsehen beste Informationsarbeit. Die Beschreibung des Monopolsenders als „Fenster zur Welt“ hatte in dieser Phase ihre Berechtigung.

Bomber über Graz 

Aber auch hier kam es zu Merkwürdigkeiten. Am exemplarischen Fall des „Jugo Bombers“ über Graz erklärt. Am Freitag, den 28. Juni gegen 13.40 Uhr verirrte sich eine MIG der jugoslawischen Bundesarmee bis zum Draken-Stützpunkt am Flughafen Thalerhof, drehte im Süden von Graz ab und verschwand wieder. Ein Vorfall, den das Lokalfernsehen auch meldete, der aber in den späten Nachrichtensendungen mit keinem Wort erwähnt wurde. Für die steirischen Printmedien war dieser Vorfall jedoch Anlaß zu sonst kaum gekannter Einigkeit am Titelblatt, unterscheidbar nur durch geographische Feinheiten. Die KLEINE ZEITUNG titelte: „GRAZ: JUGO-MIG DONNERTE ÜBER THALERHOF“, die STEIRERKRONE sah den „JUGO-BOMBER ÜBER GRAZ“, die NEUE ZEIT dachte weiträumiger und ortete den „JUGO-BOMBER ÜBER STEIERMARK“. Der Wiener KURIER wollte sich auf solche Spekulationen offenbar nicht einlassen. „KRIEG AN DER GRENZE: ‚DRAKENIM EINSATZ!“

Medien und Politik 

Im allgemeinen war mit Fortschreiten der „heißen Phase“ des Konflikts eine Verschiebung der kritischen Perspektive in den Medien zu beobachten. Man versammelte sich, ängstlich oder selbtsbewusst, ums Lagerfeuer der Nation und beschwor aus einem realen Bedrohungsgefühl heraus die eigene Stärke. Die Unterschiede lagen in erster Linie an der räumlichen Nähe zum Krisenherd.

Steirische und Kärntner Medien berichteten mit mehr persönlichem Engagement als überregionale oder Wiener Medien.

Der ORF nützte die Chance des „Live-Effekts“ und mutierte zum Klein-CNN; DER STANDARD war wie immer staatstragend-emotionslos-analytisch, die STEIRERKRONE verkaufsfördernd emotionsgeladen. Die KLEINE ZEITUNG stand klar an der Seite Sloweniens, die NEUE ZEIT versuchte es über die grundsätzliche Sympathie hinaus auch mit kritischer Analyse.

Presse und Politik zogen an einem Strang. Konflikte waren zu dieser Zeit nicht gefragt. Ein Fallbeispiel: Mittwoch, 3. Juli 1991. Der neue ÖVP-Obmann Erhard Busek versucht mit seiner Forderung nach sofortiger Anerkennung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens sichtlich Kontur gegenüber dem in dieser Frage sehr vorsichtigen Kanzler Vranitzky zu gewinnen. Der ORF bringt die Meldung in seiner Mittagssendung ohne Kommentar. Um 15 Uhr wird die ORF-Berichterstattung zum Busek-Vorstoß merklich kritischer. Am Abend, vor der Sitzung des Krisenstabes, ziehen sich Außensminister Mock und Bundeskanzler Vranitzky zu einem internen Gespräch zurück. Dabei wird offenbar vereinbart, den undiszipliniert-vorwitzigen Busek ein wenig an den Ohren zu ziehen (ein neuer ÖVP-Obmann hat’s nicht leicht!). Nach der Krisensitzung werden der Kanzler und sein Vize in schönster Harmonie über den Äther verkünden: „In dieser Frage sind wir vollkommen einer Meinung!“

Und noch etwas ist seit den Ereignissen in Jugoslawien außer Streit gestellt. Was auch die besten (?) Werbestrategien nicht zustandebrachten, die reale Bedrohung hat es bewirkt: Das Bundesheer wird akzeptiert. Selbst die häufigen Alarmstarts der sonst wenig geliebten Draken wurden von der Grazer Bevölkerung mit Gleichmut hingenommen.

Die jugoslawische Regierung begann indes mit scharfen Protesten gegen die Präsenz von rund 6.000 österreichischen Soldaten an der Grenze. Das häßliche, aber zutreffende Wort KRIEG ist jedoch erst eine Woche nach Beginn des Konflikts von offizieller Stelle (und das war zu diesem Zeitpunkt allemal das jugoslawische Militär) verwendet worden.

Daß das „Kriegs-Erleben“ in Österreich sehr stark von der räumlichen Nähe abhing, zeigte sich daran, daß nach der Entspannung in Slowenien die blutigen Zusammenstöße in Ostkroatien zwar weitaus mehr Menschenleben forderten, die Stimmungslage in der Bevölkerung und den Medien jedoch besser wurde. Der mediale Ausnahmezustand konnte nach fast zwei Wochen beendet werden. „STIEFVATER SCHOB KIND INS BACKROHR“. Mit dieser Schlagzeile der STEIRERKRONE hielt die österreichische Wirklichkeit wieder ihren Einzug.

© Franz Zuckriegl, 1991/2016

Camera

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